Klause

Es ist keine Kunst, das zu achten, was Du für Deinesgleichen hälst.

Die Kunst besteht darin, auch das zu achten und zu respektieren, was anders ist als Du.

Worauf es wirklich ankommt

von

f. s. montanus

Fassung vom 17. Dezember 2014

Herr Schmitt wohnt in einem schönen, kleinen Häuschen mit einem ordentlichen, gepflegten Vorgarten. Er hat eine Frau, zwei Kinder und eine einträgliche Arbeit. Sein Geld legt er in einem Aktienfonds an, der später einmal seine Rente aufbessern soll. In welche Firmen dieser Fonds investiert, weiß Herr Schmitt gar nicht so genau. Darum hat er sich nie gekümmert. Auch der Hinweis in den Abrechnungen, dass bei seinem Fonds moralische oder ethische Überlegungen keine Rolle spielten, hat ihn nie sonderlich beunruhigt. Deshalb weiß Herr Schmitt auch gar nicht, dass er Aktien von Firmen besitzt, die mit Waffen lukrative Geschäfte machen. Waffen sind ein todsicheres Geschäft. Waffen werden immer gebraucht. Eine wirklich gute Geldanlage für Herrn Schmitt. Und dass er davon gar nichts weiß, ist sogar ungemein praktisch, denn dadurch kann er nachts immer noch sehr gut schlafen.

Gar nicht weit weg von Herrn Schmitt wohnt Herr Unger. Er hat eine große, weiße Villa und sechs auf Hochglanz polierte Autos. Seine Bankkonten sind gut gefüllt. Er hat mehr Geld, als er jemals selbst ausgeben kann. Aber weil ihm das noch nicht genug ist, hat auch er Aktien von Rüstungsfirmen gekauft. Die bringen nämlich gute Renditen, und das ist in der Gedankenwelt von Herrn Unger immer gut. So kann er sich bald noch mehr Autos und auch noch eine zweite Villa kaufen. Wozu er das alles brauchen soll, weiß noch nicht einmal er so ganz genau. Aber es ist doch schön, wenn man was hat und es herzeigen kann.

Ali wohnt nicht in der Nähe von Herrn Schmitt und Herrn Unger. Er wohnt ganz woanders. Er ist zwölf Jahre alt. Gerade kommt er von der Beerdigung seines Bruders, der beim Spielen von einer herumliegenden Streubombe getötet wurde. Die ganze Familie ist am Boden zerstört. Alis Mutter weint den ganzen Tag. Immer wieder fragt sie: „Warum, warum? Er war doch noch ein Kind!“ Der Vater kann sie gar nicht beruhigen. Auch Ali muss weinen, wenn er daran denkt, dass er nie wieder das fröhliche Lachen seines kleinen Bruders wird hören können. Er hat seinen Bruder sehr geliebt.

Alle Menschen sind gleich, sagt die Verfassung. Aber einige sind gleicher, sagen die Schweine auf Orwells Farm der Tiere. Worauf es ankommt, das sind Menschen wie Herr Schmitt und Herr Unger, Menschen wie Du und ich. Auf Menschen wie Ali und seinen Bruder kommt es nicht an. Sie spielen keine Rolle. Sie tauchen auf unseren Kontoauszügen nicht auf, sie fehlen in unseren Bilanzen. Und genau das ist es, was zählt. Darauf kommt es an. Auf unser Geld, auf unseren Wohlstand, auf unsere Häuschen und Vorgärten, auf unsere Autos, auf unsere Interessen. Aufgrund einer glücklichen Fügung des Schicksals ist die Weltordnung halt einfach auf unserer Seite. Jeder andere an unserer Stelle würde genau das Gleiche tun, würde seine Chance genauso für sich nutzen wie wir. Ist das nicht völlig legitim?

Manchmal, in unseren schwachen Momenten, mögen wir vielleicht denken, dass es das nicht ist. Dass es vielleicht doch nicht legitim ist, sonntags den Gutmenschen zu geben und ansonsten überall den eigenen Vorteil zu suchen. Doch solche Momente der Schwäche und des Zweifels sind zum Glück selten. Man muss sie aushalten können, sie gehen auch wieder vorüber. Besser, man denkt nicht zu viel nach und kümmert sich um seinen eigenen Kram.

Und weil alle genau das tun, bleibt zum Glück alles beim Alten. Herr Schmitt gießt die Blumen in seinem schmucken Vorgarten. Herr Unger zählt das Geld auf seinen Konten. Ali und die Seinen beweinen ihre Toten. So ist das Leben auf der Erde nunmal geordnet. Jeder hat seinen Platz. Die einen leben, die anderen zahlen den Preis und sterben.

Es ist wie ein großes Spiel. Ein Spiel, in dem der eine gewinnt und der andere verliert. Wo wir in dieses Spiel hineingeboren werden, ob auf der Gewinner- oder der Verliererseite, ist eine Frage des Zufalls. Du kannst von Glück reden, lieber Leser, dass Du auf der richtigen Seite geboren worden bist, dass Deine Eltern Schmitt oder Unger heißen. Und Du nicht Ali.